ZAK vom 1.3.14: Die Stadt wird zum Sportplatz
Parkour ist bei den Jugendlichen sehr beliebt – Trainiert wird in der Schlossberghalle
Albstadt-Ebingen, 01.03.2014 von Benno Schlagenhauf
Mit dem klassischen Turnen im Sportunterricht konnten die meisten Jugendlichen, die in der Ebinger Schlossberghalle Saltos schlagen und ĂĽber Hindernisse springen, nichts anfangen. Bei Parkour ist das anders.
Tilo Boebel nimmt Anlauf, springt ab und fliegt über zwei Wägen mit Rollmatten. Im Sportunterricht hieße diese Übung Hocksprung, bei Parkour „saut de chat“ – Katzensprung.
„Turnen ist mein zweitbestes Fach im Sportabi, ich habe schon immer gerne geturnt“, erzählt der 17-Jährige. Damit ist er in der Albstädter Parkourgruppe aber eher eine Ausnahme: „Sonst konnte fast
keiner hier etwas mit Turnen anfangen, bevor er Parkour gemacht hat.“ Marco Bücherer ist einer der ehemaligen Turn-Verweigerer: „Ich bin erst über Parkour in die Turnbewegungen reingekommen.“ Dass der 18-Jährige seit er Parkour macht kein Turnen mehr im Sportunterricht hatte, bedauert er beinahe ein bisschen: „Das hätte sich sicher auch in den Noten gezeigt.“
Begonnen hat die Parkourbewegung in Albstadt, die ihren Ursprung in den Pariser Vororten hat, mit einer AG am Gymnasium Ebingen.
Sportlehrer Christian Heinlin hat diese vor rund zwei Jahren ins Leben gerufen, etwa ein halbes Jahr später kam das wöchentliche Training in der Schlossberghalle dazu. Die Gruppe trainiert hier als Unterabteilung des TSV Ebingen.
„Ich habe jahrelang Gerätturnen gemacht und während des Studiums einen Bezug zu Parkour gefunden und schließlich meine Abschlussarbeit darüber geschrieben“, berichtet Heinlin. Parkour beschreibt er als „normfreies Turnen in urbaner Umgebung“. Der Sportlehrer erklärt: „Der Unterschied ist, dass nicht alles akkurat und perfekt sein muss wie im klassischen Turnen. Es müssen nicht auch noch die Zehenspitzen gestreckt sein, jeder kann die Bewegung individuell ausführen.“
Viele der Traceure – so heißen Sportler, die Parkour machen – trainieren zweimal wöchentlich, in der AG und im Verein. Inzwischen hat sich aber auch über das Ebinger Gymnasium hinaus herumgesprochen, was die Jugendlichen in der Schlossberghalle treiben. „Es ist inzwischen ein bunter Mix aus allen Schularten“, erklärt Heinlin.
Ein Beispiel dafür ist Anton Weise. Der 16-jährige Ebinger geht in Frommern zur Schule.
„Ich habe überall im Internet geschaut, ob es irgendwo Parkourgruppen gibt, weil ich so etwas schon immer machen wollte. Über Facebook bin ich dann zu der Gruppe dazugestoßen.“
Heinlin leitet in der Parkour-Gruppe das Training der Anfänger, Tilo Boebel übernimmt inzwischen selbstständig das Fortgeschrittenen-Training. „Das ist der Gedanke dahinter, dass irgendwann alles von alleine läuft und Schüler für Schüler da sind“, erklärt Heinlin. „Es ist beeindruckend, wie souverän Tilo das in seinem Alter macht und die Gruppe im Griff hat“, lobt Heinlin.
Dass die Sportart noch Exoten-Charakter hat und ansonsten eher ein Phänomen der Großstädte ist, stört die Albstädter Traceure nicht. „Hier gibt es zwar nicht ganz so viele Orte, wo man Parkour machen kann, aber wir haben ja schließlich auch die Halle“, erklärt Tilo Boebel. Zudem finden sich überall Orte, wo man Parkour machen kann. „Man bekommt einen ganz anderen Blick für seine Umgebung, man schaut überall, wo man etwas machen könnte. Oft reicht schon eine Mauer oder eine Treppe“, erzählt Tilo Boebel.
Der Sportplatz der Traceure ist die Stadt. Je mehr Hindernisse sie bietet, desto besser.
Auch das Internet spielt bei den Traceuren eine wichtige Rolle: „Ich schaue viele Youtube-Videos zum Thema. Da holt man sich Anregungen“, sagt Tilo Boebel. Evelyn Karsten ist eins von wenigen Mädchen bei den Fortgeschritteten. Dennoch sieht die 16-Jährige Parkour nicht als reine Jungensportart: „Ich finde Sport ist sowieso unisexuell.“ Parkour sei ein Zusammenspiel aus Kraft und Technik, „deshalb kann man das gar nicht so genau abgrenzen, ob Parkour eher etwas für Mädchen oder für Jungs ist.“
Für die kleinsten Parkourfans ist in der Schlossberghalle ebenfalls etwas geboten. Beim Kinderturnen für Kinder ab der ersten Klasse fließen bereits Elemente und Übungen ein, die sonst erst viel später gemacht werden.
„Die Kinder machen ganz spielerisch Handstandüberschläge über Hindernisse – beim klassischen Kinderturnen könnte man sich so etwas gar nicht vorstellen“, erklärt Heiko Käppel vom TSV Ebingen.
Manchmal muss der Leiter des Kinderturnens seine Schützlinge allerdings bremsen: „Bei den Kleinen ist es immer eine Gratwanderung zwischen Ausprobieren und Übermut. Die sehen eben auch bei den Großen zu und machen das dann nach“. Im Grunde verfolgt Käppel mit dem „normfreien Kinderturnen“ die gleichen Ziele wie beim klassischen Kinderturnen: Nämlich, dass die Kinder sich mehr bewegen. „Wir haben das hier nur etwas anders, etwas knackiger verpackt.“ Und das kommt an: „Wir sind an der Kapazitätsgrenze. Es stehen schon acht Kinder auf der Warteliste.“
Parkour – Die Kunst der Fortbewegung
Parkour: Bei Parkour geht es darum, möglichst schnell und effizient von A nach B zu kommen. Dabei springen und klettern Parkourläufer (franz.: le traceur = „der, der eine Linie zieht“) über Hindernisse die ihnen im Weg stehen.
Ableger: Während es sich bei Parkour um eine reine Fortbewegungsart handelt, kommen beim Freerunning akrobatische Elemente hinzu, die teilweise der eigenen Profilierung dienen. Beim Parcouring werden Wettbewerbe auf Zeit veranstaltet. Parkour im eigentlichen Sinne ist nicht wettbewerbsfähig.
Historie: Entwickelt wurde Parkour von Raymond Belle, seinem Sohn David Belle und anderen in den Vororten von Paris.
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